AUGUST 2011: Neues Europäisches Unterhaltsrecht.
Die neue EG-Verordnung, die am 18.06.2011 in Kraft getreten ist, gilt nicht nur für Kindesunterhalt, sondern für sämtliche Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder Schwägerschaft beruhen. Rechtsanwalt und Advogado Dr. Rathenau illustriert die Bedeutung der Verordnung anhand eines praktischen Beispiels.
Die neue EG-Verordnung, die am 18.06.2011 in Kraft getreten ist, gilt nicht nur für Kindesunterhalt, sondern für sämtliche Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder Schwägerschaft beruhen. Rechtsanwalt und Advogado Dr. Rathenau illustriert die Bedeutung der Verordnung anhand eines praktischen Beispiels.
Wie bekommt Janiss seinen Unterhalt? Gehen wir von folgendem Fall aus: Der 6-jährige Janiss ist deutscher Staatsangehöriger und lebt mit seiner Mutter in Portugal. Sein Vater lebt in Deutschland. Der Vater soll für seinen Sohn Unterhalt bezahlen.
Um die Geltendmachung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen zu vereinfachen, erließ der europäische Gesetzgeber eine Verordnung, die unmittelbar in Deutschland, Portugal und den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt. Die Verordnung ermöglicht es, in einem Mitgliedstaat eine Entscheidung zu erwirken, die in einem anderen Mitgliedstaat ohne weitere Formalien vollstreckbar ist. Sie bestimmt das zuständige Gericht und nach welchem nationalen Recht sich das Bestehen und die Höhe des Unterhaltsanspruchs richten.
Ob und welches Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Beteiligten besteht und welches Recht auf dieses Verwandtschaftsverhältnis anwendbar ist, bestimmt weiterhin das nationale Recht.
Es sind bei einer Unterhaltssache daher drei grundsätzliche Fragen zu unterscheiden: Welches ist das zuständige Gericht? Welches Recht ist auf den Unterhaltsanspruch anwendbar? Nach welchem Recht bestimmt sich das Verwandtschaftsverhältnis?
Zuständiges Gericht ist das Gericht des Ortes, an dem der Beklagte oder an dem der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wo eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, bestimmt sich nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls. Bei der Bestimmung finden insbesondere folgende Kriterien Berücksichtigung: soziale Integration, Dauer, Regelmäßigkeit, Gründe und Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat. Es kommt nicht darauf an, in welchem Land die Person polizeirechtlich oder aufenthaltsrechtlich gemeldet ist. Eine Ehefrau, die in Portugal lebt und arbeitet, kann vor einem portugiesischen Gericht einen Unterhaltsanspruch gegen ihren in Deutschland lebenden Ehemann einklagen. Sie kann vor einem portugiesischen Gericht auf Zahlung von Unterhalt für ihre in Deutschland leben-den Kinder verklagt werden.
Ist bei einem Gericht bereits ein Scheidungsverfahren oder ein Verfahren über die elterliche Sorge anhängig, so ist dieses Gericht auch für den Unterhaltsanspruch zuständig.
Auf den Unterhaltsanspruch ist grundsätzlich das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Im Einzelfall kann es hiervon Ausnahmen geben. Auf die Staatsangehörigkeit kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
Die Staatsangehörigkeit ist relevant, um das Verwandtschaftsverhältnis des Unterhaltsberechtigten zum Unterhaltsverpflichteten zu bestimmen. Das portugiesische Recht bestimmt, dass für die Bestimmung des Verwandtschaftsverhältnisses das Recht des Staates anwendbar, dem der Unterhaltsberechtigte angehört. Nach deutschem Recht wird das Verwandtschaftsverhältnis entweder nach dem Recht des Staates bestimmt, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder im Verhältnis zu jedem Elternteil nach dem Recht des Staates, dem dieser Elternteil angehört.
Für unseren Eingangsfall heißt das, dass der Unterhalt für Janiss vor einem portugiesischen Gericht eingeklagt werden kann, weil Janiss seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Portugal hat. Der Unterhalt kann auch in Deutschland eingeklagt werden, weil Janiss Vater dort seinen ge-wöhnlichen Aufenthalt hat.
Wäre bereits ein Verfahren über die elterliche Sorge in Bezug auf Janiss bei einem Gericht anhängig, wäre dieses Gericht auch für den Unterhaltsanspruch zuständig.
Da Janiss deutscher Staatsangehöriger ist, bestimmt sich nach deutschem Recht, ob die Vaterschaft besteht. Auf den Unterhaltsanspruch als solchen findet wiederum portugiesisches Recht Anwendung, da Janiss seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Portugal hat. Auch bei einem Verfahren in Deutschland ist das portugiesische Recht anwendbar. Nach dem portugiesischen Recht wird im Beispielfall bestimmt, ob die Unterhaltspflicht besteht und wie hoch der monatliche Unterhalt ist. In Portugal wird die Höhe des Unterhalts im Einzelfall bestimmt. Entscheidende Kriterien sind dabei die Bedürftigkeit des Kindes und die Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Elternteils. In der Regel fällt der Unterhalt in Portugal geringer aus als in Deutschland. Obwohl Janiss deutscher Staatsangehöriger ist, bestimmt sich sein Unterhaltsanspruch weiterhin allein nach portugiesischem Recht.
Im deutschen Recht wird die Höhe des Kindesunterhalts von den Gerichten nach der „Düsseldorfer Tabelle“ berechnet. Bei der „Düsseldorfer Tabelle“ handelt es sich nicht um ein Gesetz, sondern um eine Richtlinie. Sie beruht auf Gesprächen zwischen Richtern der Familiensenate der Oberlandesgerichte Düsseldorf, Köln, Hamm, der Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages e.V. sowie einer Umfrage bei den übrigen Oberlandesgerichten. Die „Düsseldorfer Tabelle“ gilt nur für den Kindesunterhalt. Sie differenziert nach der Einkommenshöhe des Verpflichteten und dem Alter des unterhaltsberechtigten Kindes. Je höher das Einkommen und je älter das Kind, desto höher der Unterhalt.
Nach deutschem Recht sind sich nur Verwandte in gerader Linie zum Unterhalt verpflichtet. Das heißt, dass Großeltern gegenüber ihren Enkeln zum Unterhalt verpflichtet sein können oder Kinder gegenüber ihren Eltern oder Großeltern. Verpflichtet sind die jeweils näheren Verwandten. In Deutschland gibt es keinen Anspruch auf Unterhalt gegen Geschwister, Tan-ten oder Onkel. Auch können diese keinen Unterhalt verlangen.
Anders ist dies im portugiesischen Recht. Hier können auch Geschwister, Onkel, Tanten und sogar Stiefeltern zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet werden. Das portugiesische Recht bestimmt die Rangfolge der Verpflichteten. Fällt ein Verpflichteter aus, so kann sich der Unterhaltsberechtigte an den nachrangigen Verwandten halten. Die Rangfolge lautet wie folgt: (1) der Ehegatte oder Ex-Ehegatte, (2) Kinder, Enkelkinder, Urenkel usw. (3) Eltern, Großel-tern, Urgroßeltern usw., (4) Geschwister, (5) Onkel und Tanten, solange der Unterhaltsberechtigte noch minderjährig ist, und (6) Stiefeltern unter bestimmten Voraussetzungen.