Küstenstreifen in öffentlicher Hand: Wer nicht klagt, bleibt rechtslos

Küstenstreifen in öffentlicher Hand: Wer nicht klagt, bleibt rechtslos.
Es wird gesetzlich vermutet, dass der 50-Meter-Streifen der portugiesischen Küste öffentliches Eigentum ist. Wer bis zum 01.01.2014 keine Klage erhebt, soll sein Eigentum in diesem Gebiet für immer verlieren. Ein altes Gesetzeswerk, das bisher kaum jemanden gestört hat, wurde durch verfassungswidrige Vorschriften ergänzt, erläutert der Experte im Immobilienrecht, Rechtsanwalt und Advogado Dr. Alexander Rathenau.

Im Jahr 1864 trat ein königliches Dekret in Kraft, welches das öffenliche Wassergebiet (Domínio Público Marítimo) erschuf. Das Dekret stellte das öffentliche Wassergebiet unter besonderen Schutz und klassifizierte es als Eigentum der öffentlichen Hand. Über 100 Jahre später legte das Dekret Nr. 468 vom 05.11.1971 fest, dass das öffenliche Wassergebiet den 50-Meter-Streifen der Küste erfasst. Knapp 35 Jahre später wurde diese Flächenbreite von 50 Metern vom Gesetz Nr. 54 vom 15.11.2005 übernommen.

Nach dem geltenden Recht wird die Breite von 50 Metern grundsätzlich von der Linie aus gemessen, die das Meer bei höchstem Wasserstand (Flut) und durschnittlicher Agitation des Meeres berührt. Trifft das Meereswasser jedoch auf eine Steilküste, wird der 50-Meter-Streifen von der obersten Kante der Steilküste an gemessen. Die Küste an der Algarve kennzeichnet sich vorwiegend durch eine sog. Kliffküste, die durch das Wirken der Meeresbrandung auf eine Steilküste gestaltet wird. Viele der Betroffenen in der Algarve haben ihre Grundstücke auf den Steilklippen mit Blick auf das Meer.

Bereits unter der Geltung des Dekrets Nr. 468 vom 05.11.1971 wurde vermutet, dass der bezeichnete 50-Meter-Streifen im Eigentum der öffentlichen Hand steht. Betroffene mussten beweisen, dass sich ihr Grundstück bereits seit über 100 Jahren im privaten Eigentum befand. Nur wer das beweisen konnte, erhielt gem. Art. 8 des Dekrets sein Grundstück als privates Eigentum anerkannt. Art. 15 des Gesetzes Nr. 54 vom 15.11.2005 hat den Wortlaut des alten Art. 8 des Dekrets Nr. 468 vom 05.11.1971 weitgehend übernommen, jedoch um entscheidende Passagen ergänzt. Derjenige, der sein privates Eigentum anerkannt wissen möchte, muss nachweisen, dass sein Grundstück (gemeint sind sowohl bebaute als auch unbebaute Grundstücke) bereits vor dem 31.12.1864 im privaten Eigentum war. Handelt es sich um ein Grundstück, das sich an einer Steilküste befindet, muss nachgewiesen werden, dass es bereits vor dem 22.03.1868 im privaten Eigentum stand. Nur der Urkundenbeweis ist zulässig. Warum diese Jahreszahlen fragen Sie sich? Am 31.12.1864 ist das anfangs erwähnte königliche Dekret in Kraft getreten, welches erstmalig die Küstenstreifen zum öffentlichen Eigentum erklärte. Am 22.03.1868 ist das erste Zivilgesetzbuch (sog. Código de Seabra) in Kraft getreten, das die Steilküste als öffentliches Eigentum auswies.

Wer nicht bis zum 01.01.2014 eine Klage vor Gericht mit dem Antrag auf Anerkennung seines privaten Eigentums erhebt, bleibt in Zukunft rechtslos. Kann der Betroffene den Urkundenbeweis erst nach dem 01.01.2014 führen, erhält er keinen Rechtsschutz. Er ist mit seinen Rechten für immer präkludiert. Das Gesetz lockert den strengen Urkundenbeweis allerdings etwas auf. Kann nachgewiesen werden, dass das Grundstück vor dem 22.03.1868 bzw. 22.03.1868 in der Sachherrschaft von Privatpersonen stand, wird Privateigentum vermutet. Wird nachgewiesen, dass die Urkunden nicht mehr lesbar sind oder zerstört wurden, genügt grundsätzlich der Nachweis, dass das Grundstück bereits vor dem 01.12.1892 im Eigentum oder in der Sachherrschaft von Privatpersonen war. Den strengen Urkundenbeweis müssen außerdem solche Betroffene nicht führen, die nachweisen können, dass die Voraussetzungen einer Ersitzung nach den Vorschriften des Zivilgesetzbuches vorliegen. Die Ersitzungsfrist beträgt zwischen 10 und 20 Jahren. Die Geltendmachung der Ersitzung könnte meiner Auffassung nach für viele Betroffene noch die Rettung in letzter Sekunde sein. Kaum jemand ist nämlich in der Lage, den Urkundenbeweis zu führen. Die Grundbuch- und Katastereinträge reichen in der Regel gerade mal bis 1930 zurück. Auch gab es vor 1864 praktisch keine Fotokameras.

Nach Auskunft des Umweltministeriums sind bislang nur zirka 50 Klagen erhoben worden. Die allermeisten Betroffenen kennen das Gesetz nämlich nicht. Grundstücke im 50-Meter-Streifen, die nicht als privates Eigentum anerkannt wurden, können nicht mehr von Privaten veräußert werden. Über sie kann nicht mehr verfügt werden. Strenggenommen könnte der Staat nach dem 01.01.2014 einen Mietzins beanspruchen oder sogar die weitere private Nutzung verbieten.

Das Gesetz Nr. 54 vom 15.11.2005 leidet an gravierenden Mängeln, die meiner Auffassung nach aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Überarbeitung der Vorschriften erfordern. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik dies rechtzeitig feststellt und der Gesetzgeber reagiert. Das Gesetz steht im Widerspruch zum Grundbuch. Das Grundbuch erzeugt öffentlichen Glauben. Wer ein Grundstück am Meer durch notariellen Vertrag von demjenigen gekauft hat, der im Grundbuch als legitimer Eigentümer eingetragen war, wird sein Grundstück trotzdem nach dem 01.01.2014 verlieren. Es verstößt außerdem gegen die Eigentumsgarantie, da der Staat pauschal alle Grundstücke im 50-Meter-Streifen faktisch enteignet, ohne eine Entschädigung zu zahlen. Des Weiteren kann die den Betroffenen auferlegte Beweislast nicht verfassungskonform sein. Dem Staat ist bewusst, dass kaum jemand den Urkundenbeweis führen kann. Aus rechtsstaatlichen Gründen müsste die Beweislast zumindest umgekehrt werden: Der Staat sollte beweisen müssen, dass die Grundstücke vor dem 22.03.1868 bzw. 22.03.1868 im öffentlichen Eigentum standen und nicht hingegen dem Bürger die Beweislast aufbürden. Ferner verletzt die Ausschlussfrist das Recht auf effektiven Rechtsschutz. Ab dem 01.01.2014 muss der Betroffene weiterhin sein Eigentumsrecht gerichtlich geltend machen können. Zu-dem werden viele Betroffene das Klageverfahren aus Kostengründen nicht führen können.

Um den Druck auf die Politik und den Gesetzgeber zu stärken, rate ich Betroffenen, sich mit einer Beschwerde an den Ombudsmann (http://www.provedor-jus.pt/) und gleichzeitig an die zuständige Ministerin Assunção Cristas (https://www.portugal.gov.pt/) zu wenden. Liegen Erfolgsaussichten einer Klage vor, muss diese bis zum 01.01.2014 erhoben werden.

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