„Ich wende mich an Brüssel!“ – Aber ist die EU überhaupt zuständig?

„Ich wende mich an Brüssel!“ – Aber ist die EU überhaupt zuständig?
Die Zugehörigkeit zur EU ist heute tief in das Bewusstsein jedes Bürgers gegraben. Als EU-Bürger fühlen wir uns besonders geschützt. Erwartet wird dabei oft, dass die EU in jedem Lebensbereich einen besonderen Schutz bietet. Es herrscht oft die Meinung vor, rechtliche Probleme in Portugal werden beseitigt, wenn man nur „nach Brüssel gehe“, sich an europäische Gerichte wende. Übersehen wird jedoch, dass die EU keine Super-Macht mit allumfassender Zuständigkeit und Eingriffsbefugnis ist. Im Folgenden erläutert Rechtsanwalt und Advogado Dr. Alexander Rathenau die Bedeutung der EU für uns als Unionsbürger und versucht Missverständnisse auszuräumen.

Die Bedeutung der Europäischen Union (EU). Die EU ist ein Zusammenschluss von Staaten. Sie ist insoweit einzigartig, als dass die Mitgliedstaaten auf die EU bestimmte Machtbefugnisse übertragen haben. Damit ist die EU eine supranationale Organisation. Während es weltweit viele Zusammenschlüsse von Staaten gibt, werden dabei weitgehend keine Machtbefugnisse auf die Organisation als solche übertragen. Dies ist bei der EU anders. Mit der Unterzeichnung der Gründungsverträge bzw. mit dem Beitritt zur EU, geben die Mitgliedstaaten bestimmte Kompetenzen an die EU ab. Die genauen Kompetenzen der EU sowie sonstige Regelungen hinsichtlich der Funktionsweise sind in den Gründungsverträgen niedergelegt, die im Verlauf der Jahre mehrmals mit Zustimmung aller Mitgliedstaaten geändert wurden. Zur Zeit gelten der Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

Kompetenzen der EU. Wie erwähnt, übertragen die Staaten bestimmte Kompetenzen an die EU. Die Mitgliedstaaten werden weiterhin als die „Herren der Verträge“ bezeichnet. Die EU besitzt demnach keine umfassende Handlungskompetenz und kann somit nicht in jeglichen Bereich eingreifen. Vielmehr gilt der sogenannte Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Dieser besagt, dass Organe der EU nur dann tätig werden können, wenn die Verträge eine ausdrückliche Ermächtigung hierzu enthalten. Unterschieden wird zwischen ausschließlicher und geteilter Zuständigkeit. Im zweiten Fall können die Mitgliedstaaten tätig werden, wenn die EU einen Bereich nicht geregelt hat. Da die Kompetenzen der EU seit der Gründung beträchtlich gewachsen sind und weil die Bestimmungen oft weit ausgelegt werden können, wurde ferner der sog. Subsidiaritätsgrundsatz eingeführt, der ebenfalls die Souveränität der Mitgliedstaaten sichern soll. Demnach kann die EU in einem Bereich, der nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fällt, nur tätig werden, sofern und soweit die Mitgliedstaaten den angestrebten Erfolg nicht auf zentraler, regionaler oder lokaler Ebene selbst regeln können.

Organe der EU. Die Organe der EU sind das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat, die Kommission, der Gerichtshof der EU, die Europäische Zentralbank und der Rechnungshof. Nur die vier erstgenannten Organe haben ihren Sitz in Brüssel. Die EU-Bürger haben nur zwei Möglichkeiten, sich an diese vier Organe in Brüssel zu wenden. Zum einen besteht die Möglichkeit einer Bürgerinitiative. Bürger können unter Einhaltung besonderer Voraussetzungen Vorschläge an die Kommission unterbreiten, wenn sie der Meinung sind, dass es eines EU-Rechtsaktes zur Regelung eines bestimmten Bereichs bedarf. Diese Vorschläge sind jedoch nicht verbindlich. Ferner können EU-Bürger sich an den Europäischen Bürgerbeauftragten wenden, den das Europäische Parlament wählt. Der Bürgerbeauftragte ist aber nur für Beschwerden hinsichtlich der Tätigkeit der EU-Organe zuständig. Hervorzuheben ist außerdem das allgemeine Petitionsrecht der Bürger gegen die Umsetzung des EU-Rechts.

Vom Europäischen Rat und dem Rat ist der Europarat in Straßburg zu unterscheiden. Der Europarat ist eine andere internationale Organisation. Zum Europarat gehört der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Der EGMR ist für die Wahrung der Menschenrechte zuständig.

Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Der Gerichtshof der Europäischen Union ist das rechtsprechende Organ der EU. Dieses Organ umfasst den Gerichtshof, das Gericht und Fachgerichte. Diese Gerichte sind für die Auslegung und Wahrung der EU-Verträge und des daraus erwachsenden EU-Rechts zuständig. Sie entscheiden nicht über nationales Recht der Mitgliedstaaten. Seinen Sitz hat der EuGH in Luxemburg. Mit bestimmten Ausnahmen kann das Gericht als das „Gericht der ersten Instanz“ angesehen werden, während der Gerichtshof die zweite Instanz bildet. Fachgerichte können für besondere Sachgebiete gegründet werden. Vor dem EuGH existieren bestimmte Klagearten, nämlich: das Vertragsverletzungsverfahren, die Nichtigkeitsklage, die Untätigkeitsklage, das Vorabentscheidungsverfahren und Klagen auf Schadensersatz und bei Haftung der EU. Nicht alle diese Verfahren sind für EU-Bürger direkt zugänglich. EU-Bürger können unmittelbar die Nichtigkeitsklage, die Untätigkeitsklage und eine Klage auf Schadensersatz erheben. Diese Klagen richten sich jedoch nur gegen Organe der EU, nicht hingegen gegen Mitgliedstaaten. Wer sich demnach in Portugal z.B. gegen einen Steuerbescheid wenden möchte, muss sich an die portugiesische Gerichte wenden. Ein wichtiges Instrument im EU-Recht, dem auch in der Praxis große Bedeutung zukommt, ist das Vorabentscheidungsverfahren. Dieses Verfahren wird in Gang gesetzt, wenn ein nationales Gericht über die Anwendung des EU-Rechts zu entscheiden hat. Wenn das nationale Gericht diesbezüglich Zweifel hat und die Frage über die Anwendung des EU-Rechts für den Aus-gang des nationalen Verfahrens entscheidend ist, legt das Gericht dem EuGH diese Frage zur Entscheidung vor.
Wie man sieht, sind die Möglichkeiten eines Bürgers, sich an die Organe der EU zu wenden, sehr begrenzt. Die Bürger müssen ihr Recht grundsätzlich vor den nationalen Gerichten durchsetzen. Die nationalen Gerichte müssen dabei das geltende EU-Recht anwenden. Somit stellt der Spruch „Ich wende mich an Brüssel!“ oft nicht mehr als eine emotionale Momentaufnahme dar!

Nach oben scrollen