25 Jahre Rechtsentwicklung in Portugal

25 Jahre Rechtsentwicklung in Portugal.
Seit 25 Jahren bereichert die ESA meine Leseecke. Herzlichen Dank dafür an alle, die daran mitgewirkt haben. Jeden Monat ein Magazin zu erstellen ist mit sehr viel Fleiß verbunden. Das gilt vor allem für ein Printmedium wie die ESA. Gerade in der aktuellen Zeit, in der das Spardiktat die Stimmung vieler Käufer- und Anzeigekunden beherrscht und die neuen Medien den digitalen, d.h. papierlosen, Weg vorzeigen, besteht die Gefahr, dass Printmedien vom Markt verdrängt werden. Wie viele andere ESA-Leser, wünsche ich mir, dass die ESA auch in 25 Jahren wie gewohnt in der Hand gehalten und durchgeblättert werden kann. Für die bevorstehenden Jahre viel Erfolg und alles Gute!

Das ESA-Jubiläum eignet sich hervorragend dazu, um auf die Rechtsentwicklung der letzten 25 Jahre zurückzublicken. Das vergangene Vierteljahrhundert steht im Zeichen einer enormen Rechtsentwicklung in Portugal. Das erste große und erwähnenswerte Ereignis trat 1986 ein. In diesem Jahr wurde Portugal Vertragsstaat der Europäischen Gemeinschaften. Vor genau 25 Jahren, d.h. im Jahre 1988, war Portugal also erst seit zwei Jahren Mitglied. In den darauffolgenden Jahren sind der Vertrag von Maastricht, Amsterdam, Nizza und 2009 der Vertrag von Lissabon, der institutionelle Neuerungen einführte, in Kraft getreten. Die europäische Freizügigkeit wurde ausgebaut, so dass jeder Unionsbürger sich frei entscheiden kann, ob er seinen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt oder dort seine Dienstleistungen bzw. Waren anbietet. Dazu zählt auch der freie Kapital- und Zahlungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Neben der Sicherung des Friedens, stellt die Freizügigkeit eine große Errungenschaft der EU dar, die wir in unserem Alltag nie wieder missen wollen! Viele Richtlinien (die vom portugiesischen Gesetzgeber in das nationale Recht umgesetzt werden mussten) und Verordnungen (die sofort und unmittelbar gelten) wurden in den letzten 25 Jahren vom europäischen Gesetzgeber erlassen. Mittlerweile beruht über die Hälfte (!) des geltenden portugiesischen Rechts auf europäischen Vorgaben. Dies ist insgesamt positiv zu bewerten, da die voranschreitende Rechtsharmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten der EU Rechtssicherheit und damit Vertrauen schafft. Ein gutes Beispiel hierfür, stellt das Verbraucherrecht dar. So ist im Jahre 1999 eine Verbrauchsgüterkaufrichtlinie erlassen worden, deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten dazu führte, dass Gewährleistungsrechte bei neuen Sachen, die einem Verbraucher durch ein Unternehmen bzw. einen Unternehmer verkauft werden, frühestens nach zwei Jahren verjähren und vermutet wird, dass die Sache bei Übergabe bereits mangelhaft war. Ein weiteres Beispiel für die voranschreitende Rechtsharmonisierung stellt eine Verordnung aus dem Jahr 2001 dar, die festlegte, dass gerichtliche Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, die in einem anderen Mitgliedstaat ergehen, ohne weiteres in Portugal anerkannt und vollstreckt werden können. Mit dem Voranschreiten der europäischen Rechtsharmonisierung, bei welcher der Europäische Gerichtshof mit Sitz in Luxemburg eine wichtige Rolle spielt, wächst Europa weiter zusammen. Der Eintritt in die EG 1986 war auch deshalb so wichtig, weil Portugal 1986 noch stark mit den Folgen des diktatorischen Regimes Salazars zu kämpfen hatte. Erst am 25.04.1976 kam es zum Sturz der Diktatur. Für die junge Demokratie wirkte der Eintritt in die EG stabilisierend und öffnete das Land nach Jahren der Abschottung nach außen hin und stärkte es zugleich innenpolitisch. Wäre Portugal nicht Mitglied der EU, würden gerade wir ausländische Mitbürger weiterhin diskriminiert werden. Es ist ein Verdienst der Entwicklung des EU-Rechts in den letzten Jahren, dass ein Bürger aus einem EU-Mitgliedstaat in Portugal nicht schlechter behandelt werden darf, als ein Portugiese, so z.B. im Steuerrecht.

Verschiedene neue Gesetzesbücher, die heute noch in Kraft sind, sind in den letzten 25 Jahren in Kraft getreten bzw. haben in diesem Zeitraum ihre Wirkung erst richtig entfalten. Hervorzuheben sind aber zunächst die Änderungen der portugiesischen Verfassung aus dem Jahre 1976. Die Verfassung wurde insgesamt ganze siebenmal geändert, namentlich in den Jahren 1982 (Gründung des Verfassungsgerichts), 1989 (Reform der Wirtschaftsordnung), 1992 und 1997 (Einfügung von Europäischen Grundrechten), 2001 (Anerkennung des Internationalen Strafgerichtshofs), 2004 (Reform der Statuten der Inselgruppen Madeira/Azoren) sowie 2005 (Zulassung eines Referendums über den europäischen Verfassungsvertrag). Die Kodifizierung in den 80er Jahren beginnt 1982 mit dem Strafgesetzbuch, das 2007 umfassend reformiert und neu veröffentlicht wurde. Anzumerken ist, dass das portugiesische Strafgesetzbuch in seiner Systematik stark dem deutschen Strafgesetzbuch ähnelt.

Im Jahre 1987 ist das Strafprozessgesetzbuch in Kraft getreten, das in den Jahren 1995, 1998 und 2007 reformiert wurde. Es enthält Vorschriften über die Durchführung des Strafverfahrens. Dabei werden die verschiedenen Stadien des Strafverfahrens geregelt, namentlich das Ermittlungsverfahren, die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft und der Ablauf der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter. Die Beschuldigtenrechte auf der einen Seite und der Strafverfolgungsauftrag des Staates auf der anderen Seite, werden in dem Gesetzbuch miteinander in Einklang gebracht.

Im Jahre 1986, d.h. mit dem Eintritt Portugals zur EG, ist das Gesetzbuch der Handelsgesellschaften in Kraft getreten. Dies stellte einen wichtigen Schritt für die Ankurbelung der Wirtschaft dar.

Im Steuerrecht ist 1985 das Mehrwertsteuergesetzbuch in Kraft getreten. Anzumerken ist, dass das heutige Mehrwertsteuergesetzbuch fast ausschließlich auf der Umsetzung europäischer Vorgaben beruht. Drei Jahre später, in den Jahren 1988/1989, sind das Einkommensteuergesetzbuch und das Körperschaftssteuergesetzbuch in Kraft getreten. Im Einkommensteuergesetzbuch wird die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen geregelt. Im Körperschaftssteuergesetzbuch hingegen die Besteuerung des Einkommens juristischer Personen. Anders als im deutschen Recht, ist nach dem Einkommenssteuergesetzbuch die gemeinsame Veranlagung der Ehegatten obligatorisch. In einer Ehe sind beide Ehegatten Steuerschuldner. Bei familiären Haushalten wird außerdem das Einkommen aller Familienmitglieder zusammen veranlagt. Der Familienvorstand ist in diesem Falle Steuerschuldner. Auf Antrag können mittlerweile außerdem nichteheliche Lebensgemeinschaften gemeinsam veranlagt werden. Das Datum des Inkrafttreten des Einkommensteuergesetzbuches ist immer noch von Bedeutung. Hat jemand eine Immobilie verkauft, die er vor 1989 erworben hat, zahlt er keine Veräußerungsgewinnsteuer, da er die Immobilie zu einem Zeitpunkt erworben hat, zu dem das Gesetzbuch noch nicht in Kraft war. Einige Jahre später, nämlich in 2003/2004, sind das Grundsteuergesetzbuch und Grunderwerbsteuergesetzbuch in Kraft getreten. Der Eigentümer einer Immobilie ist verpflichtet, jährlich Grundsteuer zu zahlen. Entscheidend ist, wer am 31.12. des jeweiligen Steuerjahres Eigentümer der Immobilie ist. Wird die Immobilie nicht durch den Eigentümer genutzt, sondern z.B. durch den Nießbrauchberechtigten, ist dieser Steuerschuldner. Das Grunderwerbsteuergesetzbuch schreibt vor, dass bei einer entgeltlichen Übertragung einer Immobilie Grunderwerbsteuer anfällt.

Im Jahre 1991 ist das Verwaltungsverfahrensgesetzbuch in Kraft getreten. Das Vewaltungsverfahrensgesetzbuch ist neben der Verfassung die wichtigste Rechtsquelle des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Aus verfassungsrechtlicher Sicht soll dieses Gesetzbuch die Rationalisierung des Verwaltungshandelns und die Beteiligung der Bürger im Rahmen der Entscheidungsfindung der Verwaltung sicherstellen. Dabei spielt das Recht des Bürgers auf rechtliches Gehör eine wichtige Rolle. Bevor der Staat eine Entscheidung trifft, die den Bürger belastet, ist sie verpflichtet, den Bürger anzuhören. Die Verwaltung hat die Befugnis, einseitig durch Verwaltungsakte zu entscheiden. Der Bürger ist deshalb grundsätzlich auf repressiven Rechtsschutz angewiesen. Ferner ist sie befugt, Verordnungen zu erlassen. Außerdem hat sie das Recht, öffentlich-rechtliche Verpflichtungen des Bürgers zwangsweise durchzusetzen. Des Weiteren stehen der Verwaltung besondere Rechte bei öffentlich-rechtlichen Verträgen zu. Mehr als 10 Jahre später, im Jahre 2004, sind das Verwaltungsgerichtsgesetzbuch sowie das Gesetz über die Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit in Kraft getreten. Das Verwaltungsgerichtsgesetzbuch enthält in seinen knapp 200 Artikeln eine Fülle von Verfahrensvorschriften.

Anfang des Jahres 2008 ist das Staatshaftungsgesetz erlassen worden. Dem Inkrafttreten des Staatshaftungsgesetzes ging eine lange Diskussion voraus und es war in Anbetracht der verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben längst überfällig. Der Staat und sonstige Verwaltungsträger haften gemeinsam mit ihren Beamten zivilrechtlich für ihr Tun oder Unterlassen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Aufgaben gegenüber Dritte, wenn durch ihr Handeln eine Verletzung der Rechte, Freiheiten oder Garantien eintritt. Im Baurecht ist im Jahr 1999 das Dekret über die Urbanisierung und den Bau im Staatsanzeiger erschienen und wurde zwischen 2001-2010 mehrmals novelliert.

Im Arbeitsrecht ist 2009 das neue Arbeitsgesetzbuch in Kraft getreten. Der Gesetzgeber hat so die bis dahin in zahlreichen Gesetze und Dekrete verstreuten Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einem Gesetzeswerk vereinigt. Dies führte zu einer wesentlich verbesserten Rechtssicherheit und zu einer Vereinheitlichung des Rechts. Dabei ist hervorzuheben, dass das portugiesische Arbeitsrecht grundsätzlich sehr arbeitnehmerfreundlich ist. Zu nennen ist etwa die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und einen umfangreichen Kündigungsschutz. Aufgrund der seit 2007 bestehenden Wirtschaftskrise kam es in den letzten Monaten im Zuge der Sparpolitik der Regierung zu einigen einschneidenden Änderungen des Arbeitsgesetzbuches. Durch diese Veränderungen sollten vor allem die Position der Arbeitgeber gestärkt werden. Durch die dritte Änderung des Arbeitsrechtsbuches zum 01.08.2012 wurden die Arbeitnehmer wesentlicher Rechte beschnitten. So wurden zum Beispiel die Überstundenvergütung drastisch gekürzt und der verbindliche Freizeitausgleich für zusätzliche Arbeitstage gänzlich gestrichen. Aus einem Unternehmen ausscheidende Arbeitnehmer erhalten nunmehr deutlich reduzierte Abfindungen. Darüber hinaus wurden auch gesetzliche Feiertage ersatzlos gestrichen. Der Bereich des Arbeitsrechtes ist längst nicht zur Ruhe gekommen, so dass auch in naher Zukunft in diesem Bereich mit weiteren Reformen zu rechnen sein wird.

Von großer praktischer Bedeutung ist außerdem das neue Gesetzbuch über die Insolvenz und den Erhalt von Unternehmen aus dem Jahr 2004. Es orientiert sich an der deutschen Insolvenzordnung. Seine Vorschriften bezwecken die Gläubigerbefriedigung durch Verwertung des Schuldnervermögens und Verteilung des dadurch gewonnenen Erlöses, Ferner kann in einem Insolvenzplan der Erhalt von Unternehmen beschlossen werden, wenn hierfür Erfolgsaussichten bestehen. Zudem sieht das Gesetz seit kurzem ein besonderes Revitalisierungsverfahren für Schuldner vor, die sich nur in einer schwierigen Wirtschaftslage oder in einer drohenden Insolvenzlage befinden.

Brandaktuell ist das neue Zivilprozessgesetzbuch, das am 01.09.2013 in Kraft getreten ist. Das neue Gesetzbuch steht unter dem Zeichen von Schnelligkeit, Flexibilität und Vereinfachung. Die Schnelligkeit kennzeichnet sich durch die strikte Fristenkontrolle, die Beschränkung der zulässigen Schriftsätze, die Stärkung des Mündlichkeitsgrundsatzes und das Vertagungsverbot von Verhandlungen sowie die effektive Vorbereitung der finalen Verhandlung und die Sanktionierung von verzögernden Handlungen. Die Flexibilität findet ihren Ausdruck in der Pflicht des Richters, das Verfahren fortlaufend an die Besonderheiten des Falles anzupassen. Er hat sich aktiv in das Verfahren einzubringen, indem er dieses produktiver gestaltet. In der Zwangsvollstreckung wurde die Intervention des Richters ebenso gestärkt. Vereinfacht wurde das Zivilverfahren durch die Einführung einer einzigen Verfahrensart im Erkenntnisverfahren.

Zusätzlich zu diesen großen Gesetzeswerken, die in den letzten Jahren in Kraft getreten sind, haben zahlreiche kleinere Reformen die Rechtslandschaft wesentlich geändert. Dazu zählt die Zulässigkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe in Portugal. Seit dem 05.06.2010 ist es gleichgeschlechtlichen Partnern erlaubt, die Ehe einzugehen. Dabei entsprechen die Rechte und Pflichten der Ehegatten des gleichen Geschlechts grundsätzlich denen mit unterschiedlichen Geschlechtern. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Portugal ein sehr katholisch geprägtes Land ist, war die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe ein wichtiger Schritt, sich in die Reihen der weltoffenen und liberalen Staaten dieser Welt einzureihen. Zu den großen Gesetzesänderungen zählt auch das Dekret Nr. 76-A/2006 vom 29.03.2006. Portugiesische Rechtsanwälte (Advogados) haben seit 2006 im Bereich Vertragswesen im Vergleich zur deutschen Rechtslage weitergehende Zuständigkeiten. Dies betrifft vor allem die Befugnis, Arten von Beglaubigungen, wie z.B. die Beglaubigung von Abschriften und Unterschriften, vorzunehmen. Die notarielle Beurkundungspflicht von Verträgen wurde im gleichen Zug aufgehoben. Rechtsanwälte in Portugal können Verträge mit einem besonderem Beglaubigungsvermerk versehen, anstatt sie, wie es früher Pflicht war, von einem Notar beurkunden zu lassen.

Wir können auf die Rechtsentwicklung in den nächsten 25 Jahren gespannt sein! Es ist zu hoffen, dass der portugiesische Gesetzgeber sich an die verfassungsrechtlichen und europäischen Vorgaben hält und seine Gesetzesvorhaben im Sinne des Schutzes des Einzelnen vor staatlicher Willkür und des Gemeinwohls umsetzt.

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