Das portugiesische Baurecht Teil I:

Das portugiesische Baurecht Teil I:
Die Genehmigungsbedürftigkeit von baulichen Maßnahmen. Neubau- und Umbaumaßnahmen an Gebäuden, aber auch eine (Teil-)Beseitigung des Ist-Zustandes oder eine Nutzungsänderung (z.B. aus einer Garage soll ein weiteres Schlafzimmer werden) sind grundsätzlich genehmigungsbedürftig. Der Experte im Immobilienrecht, Rechtsanwalt und Advogado Dr. Alexander Rathenau, erläutert die Grundzüge des portugiesischen Baurechts.

1. Einführung
Aus der verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsgarantie folgt der Grundsatz der Baufreiheit. Diese Freiheit, die dem Eigentümer eines Grundstücks zusteht, wird durch öffentliche Belange und kollidierende Privatinteressen, insbesondere der Grundstücksnachbarn, eingeschränkt. Deshalb setzt die Errichtung einer baulichen Anlage sowie deren Umgestaltung, Beseitigung und Nutzungsänderung ein öffentlich-rechtliches Genehmigungsverfahren im weitesten Sinne voraus.

2. Genehmigungsbehörde ist die Gemeinde
Baugenehmigungsbehörde ist in Portugal die jeweilige Gemeinde, in deren Gemeindegebiet das Grundstück liegt. Da der kommunalen Ebene eine herausragende Bedeutung in der Baupraxis zukommt, wird die Gemeindestruktur kurz erörtert. Es ist zwischen den Gemeinden (municípios bzw. concelho) und den Gemeindebezirken (freguesias) zu unterscheiden. Die Verwaltung durch die Gemeinden beruht – wie in Deutschland – auf dem Prinzip der Selbstverwaltung. Die Gemeinden sind von Staat unabhängige Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts. Die Gemeinde besitzt zwei Organe: Gemeindeversammlung (assembleia municipal) und Gemeindeamt (câmara municipal). Das Gemeindeamt besteht aus dem Gemeindebürgermeister (Presidente da câmara municipal) und einer von der Einwohnerzahl abhängigen Anzahl von Stadträten (vereadores), die in der Regel bestimmte Verwaltungsreferate (pelouros), wie z.B. das Baureferat, innehaben. Diese werden von den Bürgern der jeweiligen Gemeinde gewählt. Bürgermeister wird die Person, die in der meistgewählten Wahlliste die erste Rangstelle innehat. Die Verordneten wählen untereinander den Vizebürgermeister. Die Gemeindeversammlung (assembleia municipal) ist das Beratungs- und Beschlussgremium der Gemeinde, dessen Mitglieder ebenso von den Bürgern der Gemeinde gewählt werden.

Die Kompetenzverteilung im Innenbereich zwischen den Gemeindeorganen lässt sich anhand des Baugenehmigungsverfahrens illustrieren. Der Bauantrag wird an den Bürgermeister gerichtet, der die Gemeinde nach außen vertritt. Das Gemeindesekretariat überprüft, ob der Antrag mit den erforderlichen Unterlagen versehen ist. Der Antrag wird dann dem Abteilungsleiter des Bauamtes (chefe de divisão do urbanismo e das obras particulares) vorgelegt. Der Abteilungsleiter leitet den Antrag an den technischen Dienst (serviço técnico, der i.d.R. mit Architekten besetzt ist) weiter, der die Baugenehmigungsfähigkeit überprüft und ggf. eine externe Stellungnahme einholt. Im Anschluss daran entscheidet der technische Dienst in einem Gutachten über die Genehmigungsfähigkeit des Anliegens und gibt das Verfahren an den Abteilungsleiter zurück. Der Abteilungsleiter gibt seine Stellungnahme dazu ab und sendet die Verfahrensunterlagen in der Regel an den Bürgermeister. Über die Bauanfrage entscheiden sodann die gewählten Stadträte im Einvernehmen mit dem Gemeindebürgermeister. Die Tätigkeit der Gemeindeversammlung beschränkt sich im Baurecht grundsätzlich auf die Bauleitplanung.

Eine Gemeinde kann mehrere Gemeindebezirke (freguesias) haben, dessen Organe ebenfalls von den Bürgern direkt gewählt werden. Auch der Gemeindebezirk setzt sich aus zwei Organen zusammen: Bezirksversammlung (assembleia de freguesia) und Bezirksamt (junta de freguesia). Das Bezirksamt besteht aus dem Bezirksbürgermeister (Presidente da Junta de Freguesia) und den Bezirksräten (vogais). Dem Bezirksamt stehen im Vergleich zur Gemeinde nur wenige Kompetenzen zu, es sei denn, ihm werden von der Gemeinde im Einzelfall bestimmte Zuständigkeiten übertragen. Die Aufgaben des Gemeindebezirks beschränken sich im Wesentlichen auf die Ausstellung von Bescheinigungen (z.B. Aufenthaltsbestätigungen) und die Organisation von Wählerlisten. Das Beratungs- und Beschlussgremium des Gemeindebezirks, das ebenso mit geringen Kompetenzen ausgestattet ist, ist die Bezirksversammlung. Die Gemeindebezirke spielen im Baurecht in der Regel keine Rolle. Sie können die Gemeinde bei der Bekanntgabe von Bebauungsplänen unterstützen.

3. Genehmigungsbedürftigkeit
a) Genehmigungsfreie Baumaßnahmen
Keiner Genehmigungs- oder Voranzeigepflicht unterfallen insbesondere folgende Maßnahmen:
– Instandhaltungsmaßnahmen;
– Innenarbeiten, die zu keiner Änderung der Stabilitätsstruktur, Höhe der Fassade, Form der Außenwände oder des Daches des Haus führen;
– an ein Hauptgebäude angrenzende oder nicht angrenzende bauliche Anlagen, mit einer Maximalhöhe von 2,20 m oder mit einer Fläche bis zu 10 m2, die nicht an einen öffentlichen Weg angrenzen;
– der Bau von Grenzmauern bis zu einer Höhe von 1,80 m, die nicht an einen öffentlichen Weg angrenzen sowie Stützmauern bis zu einer Höhe von 2 m;
– die Errichtung von Gewächshäusern mit einer maximalen Firsthöhe von 3 m oder einer Fläche bis zu 20 m2;
– kleine Reparaturarbeiten und solche, die lediglich das Hausumfeld betreffen, soweit dadurch keine öffentlichen Flächen betroffen werden;
– der Bau von Freizeiteinrichtungen, die eine geringere Fläche als das Hauptgebäude aufweisen und mit ihm im Zusammenhang stehen;
– die Beseitigung der vorgenannten baulichen Anlagen;
– die Errichtung von Photovoltaikanlagen, Solarpanelen und Windräder zur alternativen Stromerzeugung, die mit dem Hauptgebäude verbunden sind und bestimmte Maße und Höhen einhalten;
– die Auswechslung der Baustoffe der Wände und des Daches des Hauses zur Erhöhung der Energieeffizienz des Gebäudes, solange das äußerliche Erscheinungsbild unverändert bleibt;
– bestimmte Grundstücksteilungen.

Die Ausführungsverordnungen der Gemeinden können zum einen die zugelassenen Flächen und Höhen einschränken und zum anderen weitere genehmigungs- und anzeigefreie Vorhaben festlegen. Deshalb muss jeder Fall gesondert geprüft werden!

Allgemein darauf zu achten ist ferner, dass in Natur- und Landwirtschaftsschutzgebieten Sonderbestimmungen existieren, welche den allgemeinen Regelungen vorgehen können. Weite Teile des portugiesischen Territoriums sind als Naturschutzgebiet oder Landwirtschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Am wichtigsten sind die Schutzgebiete Reserva Ecológica Nacional (kurz REN) und die Reserva Agrícola Nacional (kurz RAN). Dabei handelt es sich um nationale Gesetze, die von staatlichen Behörden überwacht werden. Die REN-Flächen werden z.B. von den Kommissionen über die regionale Koordinierung und Entwicklung (Comissões de Coordenação e Desenvolvimento Regional; kurz: CCDR) überwacht. Die CCDR-Behörde muss in der Regel vom Gemeindeamt im Rahmen eines Bauantragsverfahrens in einem REN-Gebiet konsultiert werden; an deren Stellungnahme ist die Gemeinde gebunden.

b) Genehmigungsbedürftige Baumaßnahmen

aa) Genehmigung

Dem klassischen Genehmigungsverfahren (licença administrativa) unterliegen bestimmte im Gesetz ausdrücklich beschriebene Baumaßnahmen und alle weiteren genehmigungsbedürftigen Baumaßnahmen, die nicht ausdrücklich dem vereinfachten Voranzeigeverfahren unterliegen (vor kurzem fungierte noch das Voranzeigeverfahren als Auffangtatbestand). Unter die klassische Genehmigungspflicht fallen u.a.:

– der Bau von mehreren Wohnparzellen, die Grundstücksteilungen oder -zusammenlegungen beinhalten (operação de loteamento);
– die Errichtung von Infrastruktur (Wasser- und Abwassernetz, Energieversorgung sowie Straßen), die urbanen Zonen oder bestimmten Gebäuden dienen sollen (obras de urbanização);
– der Neubau, die Bauänderung oder die Erweiterung von Gebäuden, die weder Teil einer Wohnparzellensiedlung (operação de loteamento) sind noch von einem detaillierten Bebauungsplan (plano de pormenor) erfasst werden;
– der Wiederaufbau, die Vergrößerung, die Umgestaltung, die Erhaltung oder die Beseitigung von geschützten Gebäuden oder von solchen, die unter Schutz gestellt werden sollen (imóveis classificados bzw. em vias de classificação);
– der Wiederaufbau von Gebäuden, der zu einer Erhöhung der Außenfassade oder der Anzahl der Stockwerke führt;
– die Beseitigung baulicher Anlagen, solange die Beseitigung nicht bereits in der Lizenz zum Wiederaufbau enthalten ist (obras de demolição).

Dem Voranzeigeverfahren (comunicação prévia) unterliegen u.a. folgende bodenrechtsrelevante Maßnahmen:

– der Wiederaufbau von Gebäuden unter Erhaltung der Außenwände;
– die Errichtung von Gebäuden in bestimmten Siedlungsgebieten, die als Baufläche ausgewiesen sind;
– der Bau, die Änderung oder die Vergrößerung von Gebäuden, die sich in urbanen Gebieten befinden, den Bebauungsplan einhalten sowie die Höhe der anderen umliegenden Gebäude nicht überschreiten;
– der Bau von Schwimmbädern, die zu Hauptgebäuden gehören.

Der Antragssteller kann frei wählen, ob er seinen Antrag dem klassischen Genehmigungsverfahren unterwirft oder das vereinfachte Voranzeigeverfahren in Anspruch nimmt.
In der ESA-Ausgabe 10/2016 folgt der II Teil: Genehmigungsfähigkeit von baulichen Anlagen und der Verfahrensgang.

Nach oben scrollen