Der Staatsaufbau in Portugal:
Die Grundzüge des politischen Systems der portugiesischen Republik gehören zur Allgemeinbildung. Rechtsanwalt und Advogado Dr. Alexander Rathenau erläutert in diesem Beitrag den demokratischen Staatsaufbau am Beispiel Portugal und hebt Unterschiede zur Bundesrepublik Deutschland hervor.
Die Verfassung der Republik Portugal (kurz: CRP) stammt aus dem Jahre 1976. Gemeinsam mit dem deutschen Grundgesetz ist der portugiesischen Verfassung, dass sie nach dem Ende eines diktatorischen Regimes ausgearbeitet wurde und der Verfassungsgeber das Ziel hatte, den Rechtsstaat wiederherzustellen. Bisher war für meine Generation die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eine Selbstverständlichkeit. Die demokratiefeindlichen Stimmen in Europa, die sich im politischen Populismus wiederspiegeln, machen deutlich, dass die Bedeutung dieser Errungenschaften zumindest in der aktuellen politischen Diskussion in den Hintergrund getreten ist.
Die CRP beginnt im ersten Abschnitt mit den sog. Grundsätzlichen Bestimmungen. Diese besitzen keinen homogenen Inhalt. Einerseits werden in diesem Abschnitt wichtige staatstheoretische Grundlagen, wie das Demokratieprinzip, das Sozialstaatsprinzip, die Souveränität
des Staatsvolkes oder der Grundsatz der Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle festgelegt. Andererseits finden sich dort die tatsächlichen Grundlagen des Staates wie die portugiesische Staatsbürgerschaft (Art. 4 CRP), das Territorium oder die Rechtsnatur Portugals als Einheitsstaat mit den autonomen Regionen Azoren und Madeira.
Portugal ist eine parlamentarische Demokratie. Alle politische Gewalt geht letztlich vom Staatsvolk aus. Es entscheidet in erster Linie durch Wahlen, aber auch durch Volksentscheide. Die Hoheitsorgane Portugals sind die Versammlung der Republik, die Regierung, der Präsident der Republik und die Gerichte.
1. Versammlung der Republik
Das portugiesische Parlament ist die Versammlung der Republik (Assembleia da República). Sie besteht nach Maßgabe des Wahlgesetzes aus einer Kammer mit 180-230 Abgeordneten. In der aktuellen Legislaturperiode besteht sie aus 230 Abgeordneten.
Ihre Aufgaben sind umfangreich. Im Vordergrund stehen aber Aufgaben der Gesetzgebung. Die Abgeordneten haben ein freies Mandat. Sie genießen Immunität und Indemnität. Präsident des Parlaments ist derzeit Eduardo Ferro Rodrigues der Regierungspartei Partido Socialista.
Bei der Wahl der Versammlung der Republik gilt ein Verhältniswahlrecht. Auch das Verteilungssystem nach d’Hondt wird bereits in der Verfassung bestimmt. Dieses Verteilungsverfahren benachteiligt tendenziell kleinere Parteien. Die Abgeordneten werden von den durch
einfaches Gesetz bestimmten Wahlkreisen gewählt. Im Gegensatz zu Deutschland existiert eine reine Verhältniswahl, d.h. die Abgeordneten werden von den gewählten Parteien ernannt. Direktmandate werden nicht vergeben.
Anders als in Deutschland besteht in Portugal eine Inkompatibilität zwischen Abgeordnetenmandat und Regierungsmitgliedschaft. Einen Unterschied zum deutschen Recht stellen auch die Regelungen zum Verlust des Parlamentsmandates dar. So verlieren die Abgeordneten
ihr Mandat, wenn sie öfter als geschäftsordnungsmäßig zulässig den Sitzungen fernbleiben oder sich einer anderen Partei anschließen.
Die Legislaturperiode der Versammlung der Republik beträgt 4 Sitzungsperioden. Eine Sitzungsperiode beträgt ein Jahr und beginnt jeweils am 15. September. Eine Auflösung der Versammlung der Republik ist grundsätzlich möglich. Ausnahmen bestehen innerhalb der
ersten sechs Monate nach der Wahl, während des letzten Semesters der Amtszeit des Präsidenten oder während eines Belagerungs- oder Ausnahmezustandes.
2. Regierung
Die portugiesische Regierung (Governo) ist zur Lenkung der allgemeinen Politik des Landes berufen und zugleich oberstes Organ der öffentlichen Verwaltung. Sie besteht neben dem Premierminister (Primeiro-Ministro) und den Ministern (Ministros) – anders als im GG – auch aus den Staatssekretären (Secretários de Estado) und Unterstaatssekretären (Subsecretários de Estado). Der Regierung können zudem einer oder mehrere stellvertretende Premierminister angehören. Die Amtszeit der Staats- und Unterstaatssekretäre endet mit der Amtszeit des jeweils regierenden Ministers, während beamtete Staatssekretäre in Deutschland zwar politische Beamte sind, aber nicht automatisch bei einem Regierungswechsel ihr Amt verlieren. Premierminister ist derzeit António Costa der Regierungspartei Partido Socialista.
Ein Organ der Regierung stellt der Ministerrat dar, welcher aus dem Premierminister, ggfls. den stellvertretenden Premierministern sowie den Ministern besteht. Er legt unter anderem die Grundzüge der Regierungspolitik und ihre Durchführung fest.
Dem portugiesischen Premierminister obliegt es, die allgemeine Regierungspolitik zu lenken sowie die Tätigkeit der Regierung und deren Beziehungen allgemeiner Art zu den übrigen Staatsorganen zu leiten. Er wird vom Präsidenten der Republik nach Anhörung der in der
Versammlung der Republik vertretenen Parteien und unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses ernannt. Die übrigen Regierungsmitglieder werden sodann vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag des Premierministers ernannt.
Wie im deutschen GG sieht die CRP sowohl die Aufforderung zum Vertrauensvotum (voto de confiança) wie auch den Misstrauensantrag (moção de censura) vor. Zudem führt die CRP verschiedene Ereignisse auf, die zum Rücktritt der Regierung führen. Dazu gehören z.B. der Tod oder die dauernde physische Amtsunfähigkeit des Premierministers oder die Ablehnung des Regierungsprogramms.
3. Präsident der Republik
Der Präsident der Republik (Presidente da República) vertritt die Republik Portugal, garantiert das ordnungsgemäße Arbeiten der demokratischen Institutionen und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (forças armadas). Er wird vom Volk in allgemeiner, unmittelbarer und geheimer Wahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Präsident der Republik ist derzeit Marcelo Nuno Duarte Rebelo de Sousa, der politisch der Oppositionspartei Partido Social Democrata zugehörig ist.
Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf repräsentativen Aufgaben wie der Ausfertigung von Gesetzen und Dekreten, dem Gnadenrecht oder der Verleihung von Auszeichnungen. Insgesamt ist das Amt des Präsidenten der Republik aber stärker ausgestaltet als das Amt des deutschen Bundespräsidenten. Dies ist darin begründet, dass die verfassungsgebenden Parteien zum einen ein starkes Gegengewicht gegen die Macht des Militärs wünschten, andererseits aber kein „reines Präsidialsystem mit der Gefahr einer abermaligen autoritären Entwicklung“ schaffen wollten.
Von besonderer Wichtigkeit ist für den Präsidenten der Republik insbesondere das Recht, die Versammlung der Republik aufzulösen. Neben dem Premierminister und den Mitgliedern der Regierung ernennt der Präsident der Republik auf Vorschlag der Regierung auch den Präsidenten des Rechnungshofes (Presidente do Tribunal de Contas) und den Generalstaatsanwalt (Procurador-Geral da República) sowie andere Amtsträger. Er hat außerdem ein Vetorecht gegen als Gesetz zu verkündende Beschlussfassungen der Versammlung der Republik und gegen bestimmte Entscheidungen des Verfassungsgerichts, durch das er das jeweilige Organ zu einer erneuten Beratung zwingen kann.
Politisches Konsultativorgan des Präsidenten der Republik ist der Staatsrat (Conselho de Estado). Er hat lediglich die Kompetenz Stellungnahmen zu bestimmten, in der CRP aufgezählten Maßnahmen und Ereignissen abzugeben sowie allgemein den Präsidenten der Republik bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben zu beraten.
Eine Besonderheit des portugiesischen Verfassungsrechts regelt Art. 129 CRP. Danach darf der Präsident das Land ohne die Genehmigung der Versammlung der Republik oder ihres Ständigen Ausschusses grundsätzlich nicht verlassen.
Ein Verfahren der Präsidentenanklage zur Enthebung aus dem Amt existiert für den Präsidenten der Republik nicht. Art. 130 CRP regelt aber ausführlich die strafrechtliche Verantwortung des Präsidenten. Für die Frage der Immunität ist danach zu differenzieren, ob es
sich um Straftaten handelt, welche der Präsident der Republik in Wahrnehmung seiner Aufgaben begangen hat.
4. Gerichte
Neben dem Verfassungsgericht existieren folgende Gerichte: der Oberste Gerichtshof, die erstinstanzlichen Gerichte sowie die zweitinstanzlichen Gerichte, das Oberste Verwaltungsgericht und die sonstigen Verwaltungsgerichte sowie die Finanzgerichte und schließlich der Rechnungshof. Zudem können Seegerichte, Schiedsgerichte und Friedensgerichte eingerichtet werden. Während eines Kriegszustandes werden Militärgerichte gebildet, die über Straftaten ausschließlich militärischen Charakters befinden.