Deutsches Sorgerecht ausnahmsweise auch in Portugal?
Bei in Portugal ansässigen Deutschen herrscht oft eine große Unsicherheit, ob die elterliche Sorge sich nach deutschem oder portugiesischem Recht richtet. Was gilt gar, wenn die Ehe oder Beziehung scheitert und ein Elternteil mit dem gemeinsamen Kind zurück nach Deutschland zieht? Rechtsanwalt und Advogado Dr. Alexander Rathenau erläutert.
1. Die elterliche Sorge nach deutschem Recht
Nach dem deutschen Recht steht die elterliche Sorge verheirateten Eltern gemeinschaftlich zu. Anders ist dies nur, wenn das Familiengericht die elterliche Sorge in bestimmten Angelegenheiten auf ein Elternteil oder einen Pfleger überträgt oder einem Elternteil das Sorgerecht entzieht. Auch der Tod eines Elternteils begründet das alleinige Sorgerecht des überlebenden Elternteils. Leben die Ehegatten getrennt, verbleibt das Sorgerecht bei beiden Eltern gemeinschaftlich. Wiederum kann das Familiengericht jedoch unter bestimmten Voraussetzungen die elterliche Sorge auf ein Elternteil übertragen. Zudem hat der Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, die alleinige Entscheidungsgewalt in Angelegenheiten des täglichen Lebens.
Bei ledigen Eltern steht nach deutschem Recht die elterliche Sorge grundsätzlich allein der Mutter zu. Insoweit ist unerheblich, ob die Eltern zusammen oder getrennt leben. Durch eine Sorgeerklärung, die öffentlich beurkundet werden muss, können die Eltern jedoch das gemeinsame Sorgerecht erhalten. Zudem entsteht letzteres durch Heirat der Eltern oder durch Übertragung auf beide Elternteile seitens des Familiengerichtes. Selbstverständlich kann auch der Vater das alleinige Sorgerecht erhalten.
2. Die elterliche Sorge nach portugiesischem Recht
Wie im deutschen Recht steht auch nach portugiesischem Recht verheirateten Eltern das gemeinsame Sorgerecht zu. Anders als im deutschen Recht gilt dies jedoch auch bei ledigen Eltern, die in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft leben. Bei einer Scheidung oder faktischen Trennung besteht das gemeinsame Sorgerecht fort, solange die Ausübung nicht einem Elternteil zugesprochen wird. Eine entsprechende Sorgerechtsentscheidung kann durch das Gericht oder bei einem einvernehmlichen Scheidungsverfahren ‒ anders als in Deutschland ‒ auch durch Beschluss eines Standesbeamten ergehen.
3. Sorgerechtsfragen mit Auslandsbezug
Für Sorgerechtsfragen mit Auslandsbezug sind das Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern (kurz KSÜ) und die sog. Brüssel IIa-Verordnung maßgeblich. Das KSÜ stellt ein internationales Abkommen dar, das sowohl von Deutschland als auch von Portugal ratifiziert wurde; die Brüssel IIa-Verordnung ist hingegen ein Unionsrechtsakt. Zusammen ersetzen sie weitestgehend das deutsche und portugiesische nationale Kollisionsrecht für Sorgerechtsfälle mit Auslandsbezug.
Soweit noch keine gerichtliche Entscheidung über das Sorgerecht ergangen ist und keine behördlichen Maßnahmen eingeleitet wurden, bestimmt sich das Sorgerecht grundsätzlich gemäß dem KSÜ nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes. Die Staatsangehörigkeit der Eltern hat insoweit keinen Einfluss. Zur Veranschaulichung folgendes Beispiel:
Beispiel 1: Herr und Frau Müller sind in Portugal ansässig und bekommen dort ein Kind. Da der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in Portugal begründet wurde, gilt das portugiesische Sorgerecht. Die Eltern haben demnach grundsätzlich das gemeinsame Sorgerecht. Unerheblich ist, ob die Müllers jeweils die deutsche oder portugiesische Staatsangehörigkeit besitzen.
Eine wichtige Ausnahme zum Grundsatz des gewöhnlichen Aufenthalts gilt jedoch bei Umzügen in einen anderen Vertragsstaat des Kinderschutzabkommens. Wird der gewöhnliche Aufenthalt geändert, besteht das Sorgerecht des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts grundsätzlich fort.
Beispiel 2: Herr und Frau Müller sind miteinander verheiratet und leben in Deutschland, wo ihr gemeinsames Kind geboren wird. Als das Kind 1 Jahr alt ist, entschließen sie sich, ihren Wohnsitz an die schöne Algarve zu verlagern. Da sich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes ursprünglich in Deutschland befand, gilt das deutsche Sorgerecht fort, so dass die Eltern ‒ aufgrund des Familienstands der Ehe ‒ grundsätzlich das gemeinsame Sorgerecht innehaben. Somit gilt ausnahmsweise deutsches Sorgerecht in Portugal, da noch keine Gerichtsentscheidung ergangen ist! Im umgekehrten Fall, d.h. die Müllers ziehen mit ihrem Kind von Portugal nach Deutschland, kommt portugiesisches Recht zur Anwendung. Auch in diesem Fall würde ein gemeinsames Sorgerecht bestehen.
Auf den Zweck der Regelungstechnik weist bereits der Name des Kinderschutzabkommens hin (Kinderschutz) und er soll durch ein weiteres Beispiel erläutert werden:
Beispiel 3: Herr und Frau Müller sind ledig und seit Geburt ihres Kindes in Portugal ansässig. Folglich findet das portugiesische Recht Anwendung, wonach grundsätzlich das gemeinsame Sorgerecht besteht. Kommt es nun zum Zerwürfnis der Eltern und zieht die Mutter nach Deutschland um, wo ihr ‒ mangels Familienstand der Ehe ‒ grundsätzlich das alleinige Sorgerecht zusteht, könnte dem Vater durch den Wechsel des Aufenthaltsortes das Sorgerecht entzogen werden. Durch die Fortgeltung des portugiesischen Rechts im vorliegenden Fall wird dies verhindert. Es bleibt beim gemeinsamen Sorgerecht!
Verkompliziert wird die Rechtslage durch eine weitere und mitunter schwer verständliche Ausnahme, die wiederum den Umzug in einen anderen Vertragsstaat des KSÜ betrifft. Erlangt eine Person, der vorher kein Sorgerecht zustand, durch den Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts das Sorgerecht nach dem Recht des jetzigen Aufenthaltsortes, so tritt das Sorgerecht dieser Person hinzu und regelt sich nach dem Recht des jetzigen Aufenthaltsortes.
Bei deutsch-portugiesischen Sorgerechtsfragen betrifft dies den Fall des Umzuges lediger Eltern bzw. eines Elternteils von Deutschland nach Portugal.
Beispiel 4: Herr und Frau Müller sind nicht verheiratet, leben in Deutschland und dort wird ihr Kind geboren. Das Sorgerecht steht somit grundsätzlich allein der Mutter zu. Ziehen beide nun nach einem Jahr nach Portugal, besteht nach den obigen Ausführungen grundsätzlich das ‒ deutsche ‒ alleinige Sorgerecht der Mutter fort. Da nach portugiesischem Recht bei ledigen Eltern grundsätzlich auch dem Vater die elterliche Sorge zusteht und in Portugal nun der gewöhnliche Aufenthalt begründet wurde, tritt das Sorgerecht des Vaters mittels des portugiesischen Rechts hinzu. Im Ergebnis besteht somit wiederum ein gemeinsames Sorgerecht.
Die Beispiele zeigen, dass im Verhältnis des deutsch-portugiesischen Rechts sich grundsätzlich das gemeinsame Sorgerecht durchsetzt. Anders kann dies sein, wenn ein Gericht entscheidet oder eine Behörde einschreitet. In diesem Fall ist die Brüssel IIa-Verordnung heranzuziehen, welche die internationale Zuständigkeit der Gerichte innerhalb der Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks) in Ehe- und Kindschaftssachen normiert. Sie regelt zudem die Anerkennung und Vollstreckung von Sorgerechtsentscheidungen in anderen EUMitgliedstaaten. Zuständig für Sorgerechtsentscheidungen ist grundsätzlich ein Gericht des Mitgliedstaates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dieses wendet unter Anwendung des KSÜ grundsätzlich das nationale Recht an.
Beispiel 5: Frau Müller lebt mit ihrem Sohn in Portugal. Frau Müller stellt einen Antrag vor dem portugiesischen Gericht auf Regelung des Sorgerechts. Sind portugiesische Gerichte zuständig und welches Recht findet Anwendung auf das Sorgerecht? Da das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Portugal hat, sind portugiesische Gerichte zuständig und entscheiden nach ihrem nationalen Recht (portugiesisches Recht).