Portugiesisches Erbrecht: Fragen und Antworten aus der Praxis

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Seit dem Inkrafttreten der EU-Erbrechtsverordnung am 17.8.2015 hat Rechtsanwalt und Advogado Dr. Alexander Rathenau zahlreiche Nachlassverfahren deutscher Erblasser nach portugiesischem Erbrecht abgewickelt.
Er erklärt, warum das portugiesische Erbrecht seit 2015 wiederholt Anwendung findet und welchen Inhalt es hat.

1. Ausgangsfall: Ich besitze die deutsche Staatsangehörigkeit und lebe seit einem Jahr in Portugal. Welches Erbrecht findet auf meinen Nachlass Anwendung?

Deutsche, aber auch Schweizer und Österreicher, die nach dem 17.8.2015 verstarben bzw. versterben und zum Zeitpunkt ihres Ablebens ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Portugal hatten bzw. haben werden, vererben nach portugiesischem Erbrecht. Letzteres ist nur dann nicht der Fall, wenn der Erblasser eine wirksame letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag) hinterlassen hat, die eine Rechtswahl zu Gunsten seines Heimatrechts enthält. In diesem Falle findet auf den Nachlass nicht das portugiesische, sondern das Recht des Staates Anwendung, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser zum Zeitpunkt der Rechtswahl (oder zum Zeitpunkt seines Todes) besaß. Sie sollten deshalb anwaltliche Beratung in Anspruch nehmen, um Folgendes feststellen zu lassen:
I) Welches nationale Erbrecht ist für mich günstiger, damit mein letzter Wille durchgesetzt wird: Das portugiesische oder das deutsche?,
II) Kann die gesetzliche Erbfolge zur Geltung kommen oder muss eine letztwillige Verfügung erstellt werden, damit mein letzter Wille durchgesetzt werden kann?
III) Wo, wie und mit welchen Inhalt sollte ich die letztwillige Verfügung erstellen?

2. Mein Vater ist am 2.1.2020 verstorben; er hat kein Testament hinterlassen. Er lebte seit zwei Jahren in Faro, war aber noch in Deutschland gemeldet. Findet auf den Nachlass portugiesisches Erbrecht Anwendung und gibt es irgendwelche Fristen?

Ja, es findet portugiesisches Erbrecht auf den Nachlass Ihres Vaters Anwendung. Maßgeblich ist allein, dass Ihr Vater seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt zum Todeszeitpunkt in Portugal hatte. Ob er noch einwohnermelderechtlich und oder steuerlich als in Deutschland ansässig registriert war, ist irrelevant. Der Tod einer Person ist innerhalb von 48 Stunden einem Standesamt zu melden. Außerdem besteht die Pflicht zur Anzeige des Todes gegenüber der portugiesischen Finanzverwaltung; die Frist für diese Anzeige endet mit dem Ablauf des dritten Monats nach dem Eintritt des Todes.

3. Mein Vater hat drei Kinder hinterlassen. Zum Todeszeitpunkt war er mit meiner Mutter verheiratet. Wer und zu welchen Anteilen ist Erbe meines Vaters geworden?

Nach dem anwendbaren portugiesischen Erbrecht haben die drei Kinder und der überlebende Ehepartner 1/4 geerbt.

4. Meine Mutter trägt aber vor, dass sie 1/2 geerbt hat, da sie mit meinem Vater im deutschen ehelichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet war. Hat sie Recht?

Ihre Mutter beruft sich hier auf § 1371 des deutschen BGB. Stirbt einer der im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Ehegatten, wird der Ausgleich des Zugewinns nach dieser Vorschrift dadurch verwirklicht, dass sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten um 1/4 der Erbschaft erhöht (pauschalisierter Zugewinnausgleich). Es war bislang heftig umstritten, ob § 1371 BGB güterrechtlich (so die bisherige Rechtsprechung) oder erbrechtlich zu qualifizieren ist. Der Europäische Gerichtshof hat vor kurzem entschieden, dass die Vorschrift erbrechtlich zu qualifizieren ist. Deshalb erbt Ihre Mutter nur 1/4 am Nachlass, da § 1371 BGB die Anwendung deutschen Erbrechts voraussetzt. Das portugiesische Erbrecht kennt keine dem § 1371 BGB entsprechende Vorschrift. Ihre Mutter wird somit schlechter gestellt, als wenn auf den Nachlass deutsches Erbrecht zur Anwendung gekommen wäre.

5. Müssen die vier Erben das Erbe annehmen bzw. kann man es auch ausschlagen?

Anders als im deutschen Recht geht die Erbschaft erst mit der Annahme auf die Erben über. Mit Annahme der Erbschaft gehen daher erst Eigentum und Besitz an dem Nachlassvermögen auf die Erben über. Die Annahme kann ausdrücklich oder stillschweigend erklärt werden. Sie unterliegt keiner besonderen Form, auch wenn Immobilienvermögen zum Nachlass gehört. Die Annahmeerklärung ist unwiderruflich. Hat der Erbe die Erbschaft noch nicht angenommen, kann er sie ablehnen. Die Erklärung der Ablehnung ist an keine Frist gebunden. Anders als die Annahme ist die Erklärung der Ablehnung der Erbschaft aber formbedürftig. Es genügt eine einfache privatschriftliche Erklärung. Gehört zum Nachlass Immobiliarvermögen, gilt allerdings die Beurkundungspflicht.

6. Hätte mein Vater seine Kinder und meine Mutter enterben können?

Nein, da das portugiesische Erbrecht – anders als das deutsche Erbrecht – sog. Noterbteile vorsieht. Der Noterbteil ist der Anteil des Vermögens, über den der Erblasser durch Testament nicht verfügen darf. Noterben können auch zu Lebzeiten des Erblassers nicht auf den Noterbteil wirksam verzichten. Die Gruppe der Noterben bilden Kinder, Vorfahren und der Ehepartner des Erblassers. Da Ihr Vater drei Kinder und seine Ehepartnerin hinterlassen hat, beträgt der Noterbteil (über den Ihr Vater nicht hätte verfügen können) von jedem der insgesamt vier Erben 1/6, d.h. Ihr Vater hätte durch ein Testament nur frei über 1/3 verfügen können.

7. Hätte mein Vater in einem Testament verfügen können, dass ich die Immobilie in Lagos erhalte?

Ja. Im Vergleich zur Rechtslage in Deutschland ist die Rechtsposition des Vermächtnisnehmers stärker: Das Vermächtnis (= Zuwendung eines bestimmten Vermögensgegenstandes) entfaltet nach portugiesischem Recht nämlich dingliche Wirkung, d.h. mit dem Ableben Ihres Vaters und der Annahme des Vermächtnisses wären Sie unmittelbar Eigentümer und Besitzer der Immobilie geworden. Nach deutschem Erbrecht hätten Sie nur einen schuldrechtlichen Herausgabeanspruch der Immobilie gegenüber den übrigen Erben. Dieser Anspruch muss nach deutschem Recht notfalls gerichtlich durchgesetzt werden und unterliegt der Verjährung.

8. Wer verwaltet den Nachlass meines Vaters bis zu einer möglichen Erbteilung?

Der ungeteilte Nachlass wird nach der Annahme bis zur Erbteilung durch den Nachlassverwalter (cabeça de casal) verwaltet. Der Nachlassverwalter wird nach folgender Reihenfolge bestimmt:
I) der überlebende Ehegatte, wenn keine gerichtliche Trennung vorliegt und er Erbe ist oder Anteile an ehelichen Gemeinschaftsgütern besitzt,
II) der Testamentsvollstrecker, wenn der Erblasser keine abweichende Bestimmung getroffen hat,
III) die Verwandten, wenn sie gesetzliche Erben sind sowie iiii) die testamentarischen Erben. Innerhalb der gleichen Gruppe hat der Gradnähere den Vorrang. Bei Verwandten desselben Grades oder bei testamentarischen Erben steht demjenigen die Verwaltung zu, der mit dem Erblasser bis zu seinem Tod mindestens ein Jahr zusammengelebt hat. Bei Gleichheit wird der Älteste der Gruppe zum Nachlassverwalter berufen. Demnach ist Ihre Mutter Verwalterin des Nachlasses.

Das Amt des Nachlassverwalters wird unentgeltlich geführt und ist nicht übertragbar. Ist der Nachlassverwalter Testamentsvollstrecker, kann sein Amt auch vergütet werden. Zu den Aufgaben des Nachlassverwalters gehören die Verwaltung der Güter und ggfls. die Verwaltung des Gemeinschaftsguts der Ehegatten bis zur Erbteilung. Rechtshandlungen, die sich auf den Nachlass beziehen, kann der Verwalter grundsätzlich nur mit Zustimmung aller Erben vornehmen. Ausnahmsweise kann er bei Gefahr im Verzug eigenständig Forderungen einziehen, Zahlungen entgegennehmen und Gegenstände verkaufen. Außerdem kann er von den Erben und Drittbesitzern die Herausgabe von Sachen verlangen, die zum Nachlass gehören. Er ist gegenüber den Erben auskunfts- und rechenschaftspflichtig. Die Erben und der überlebende Ehegatte haben einen Anspruch auf anteilige Auszahlung der Einnahmen.

9. Hätten meine Eltern ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag erstellen können, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen?

Nein. Davon ausgehend, dass portugiesisches Erbrecht zur Anwendung gekommen wäre, ist festzustellen, dass gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge, die Bindungswirkung entfalten, grundsätzlich verboten sind. Auch wäre mit einer gegenseitigen Erbeinsetzung eine Enterbung der Kinder einhergegangen, die – wie unter Nr. 6 gesehen – unwirksam wäre.

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