Letzten Sommer begann die Finanzierung des außerordentlichen Aufbauinstruments der Europäischen Union NextGenerationEU. Teil davon ist die Aufbau- und Resilienzfazilität. Portugal legte der EU-Kommission als erster Mitgliedstaat überhaupt den dazu notwendigen Plan vor und kann bis 2026 nicht rückzahlbare Zuschüsse in Höhe von € 13,9 Mrd. und Darlehen in Höhe von € 2,7 Mrd. erwarten. Rechtsanwalt und Advogado Dr. Alexander Rathenau erklärt die Hintergründe des Programms und dessen Bedeutung für Portugal.
A. Hintergründe
1. Inhalt
Im Juli 2020 wurde das außerordentliche Wiederaufbauprogramm NextGenerationEU mit einem Umfang von rund € 800 Mrd. (zu jeweiligen Preisen) vereinbart. Kernstück bildet die Aufbau- und Resilienzfazilität. Mit diesem befristeten Aufbauinstrument werden den Mitgliedstaaten insgesamt € 723,8 Mrd. (zu jeweiligen Preisen) bereitgestellt – € 385,8 Mrd. an Darlehen und € 338 Mrd. an nicht rückzahlbaren Finanzhilfen. Ziel ist es, den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Corona-Pandemie zu begegnen, die europäischen Volkswirtschaften und Gesellschaften nachhaltiger und widerstandsfähiger aufzustellen sowie besser auf die Herausforderungen und Chancen des ökologischen und digitalen Wandels vorzubereiten; insbesondere soll dazu beigetragen werden, bis 2050 das EU-Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.
Die Maßnahmen fokussieren gemäß der Verordnung zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität sechs Politikbereiche („Säulen“). Hierzu zählen 1. der ökologische Wandel, 2. der digitale Wandel, 3. wirtschaftlicher Zusammenhalt, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit, 4. sozialer und territorialer Zusammenhalt, 5. Gesundheit und wirtschaftliche, soziale und institutionelle Resilienz und 6. Maßnahmen für die nächste Generation.
2. Ablauf
Die Aufbau- und Resilienzfazilität trat am 19.2.2021 in Kraft. Sie soll der Finanzierung der Mitgliedstaaten für den Zeitraum von Beginn der Pandemie im Februar 2020 bis zum 31.12.2026 dienen. Dafür nimmt die EU-Kommission Mittel auf den Kapitalmärkten auf. Um Unterstützung aus der Fazilität zu erhalten, müssen die Mitgliedstaaten der Kommission ihre nationalen Aufbau- und Resilienzpläne vorlegen. Darin sind die bis Ende 2026 durchzuführenden Reformen und Investitionen aufzuführen. Die Kommission nimmt dann anhand der länderspezifischen Empfehlungen und der sechs Säulen der Fazilität eine Bewertung vor. Der Rat muss die nationale Vorlage schließlich genehmigen. Die Aufbau- und Resilienzfazilität ist leistungsbasiert. Soweit vereinbarte, auf zwei im Jahr begrenzte Etappenziele und Zielwerte von den Mitgliedstaaten erreicht werden, erfolgen – ebenfalls auf zwei im Jahr begrenzte – entsprechende (Teil-)Auszahlungen.
B. Verteilung der Mittel auf die Mitgliedstaaten
Bei 70 % der insgesamt verfügbaren und nicht rückzahlbaren Hilfen richtet sich die Verteilung an die Mitgliedstaaten nach der Bevölkerungsgröße, dem umgekehrten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf sowie der durchschnittlichen Arbeitslosenquote in den letzten fünf Jahren (2015 bis 2019) im Vergleich zum EU-Durchschnitt. Bei den restlichen 30 % werden statt der Arbeitslosenquote der verzeichnete reale Rückgang des Bruttoinlandsprodukts 2020 und der festgestellte kumulative reale Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im Zeitraum 2020 bis 2021 verglichen. Die endgültige Berechnung letzteren Betrages erfolgt erst mit Juni 2022. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten auch Darlehen von bis zu 6,8 % ihres Bruttonationaleinkommens von 2019 beantragen.
C. Kontrolle der Gelderverwendung
Notwendig für die Auszahlung ist ein maßgeschneiderter Kontrollrahmen. Die entsprechenden Vorkehrungen haben die Mitgliedstaaten in den Aufbau- und Resilienzplänen zu erläutern. Sie werden von der Kommission überprüft. Darüber hinaus haben sich die Mitgliedstaaten zur widmungsgerechten Verwendung zu verpflichten. Das OLAF (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung), der Rechnungshof, die Europäische Staatsanwaltschaft und die Kommission können auf die einschlägigen Daten zugreifen und, falls nötig, die Verwendung der Mittel untersuchen.
D. Portugals Aufbau- und Resilienzplan
1. Inhalt
Am 16.6.2021 gab die Kommission Portugal grünes Licht für dessen Aufbau- und Resilienzplan. Dieser umfasst 83 Investitionen und 32 Reformen. 38 % des Plans unterstützen Klimaziele und 22 % des Plans fördern den digitalen Wandel. Der Umsetzung ist ein enger Zeitrahmen gesetzt: Sie muss bis August 2026 abgeschlossen sein.
- a. Allgemein
Der Plan soll das Wirtschaftswachstum fördern und Arbeitsplätze schaffen. Portugals Bruttoinlandsprodukt werde sich danach bis 2026 um 1,5 % auf 2,4 % erhöhen. Dieser Wirtschaftsschub soll etwa 50.000 Bürgern einen neuen Arbeitsplatz bringen. Portugal werde z. B. als Exportnation auch mittelbar von den Aufbau- und Resilienzplänen anderer Staaten profitieren, was als Spill Over 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2026 ausmachen soll. - b. Ökologischer Wandel
Im Bereich der Klima- und Umweltpolitik plant Portugal anzugehen, den Gebäudebestand energieeffizienter zu machen, die Energiequellen zu diversifizieren und die Waldbrandprävention zu verbessern. Ein Investitionsprogramm in Höhe von € 300 Mio. soll zur Verbesserung der Energieeffizienz von Wohngebäuden beitragen. Begleitet wird diese von weiteren Investitionen in die Energieeffizienz öffentlicher Gebäude (insgesamt € 310 Mio.).
Erweiterungen der U-Bahn-Netze in Lissabon und Porto für über € 600 Mio. sollen den Verkehr nachhaltiger machen – z. B. durch ein neues Bus-Rapid-Transit-System in Porto.
Darüber hinaus sieht der Plan vor, dass der private Sektor bis 2025 15.000 Ladestationen für Elektrofahrzeuge errichtet. € 185 Mio. sind für den Ausbau der Produktion von Wasserstoff und erneuerbaren Gasen vorgesehen. Auch Projekte zur Ökologisierung der Industrie werden mit über € 800 Mio. unterstützt. - c. Digitaler Wandel
Der digitale Wandel soll mit Investitionen und Reformen für die Digitalisierung von Bildung und Wirtschaft sowie des öffentlichen Sektors (allgemeine öffentliche Verwaltung, Gesundheit, Justiz und Steuerverwaltung) vorangetrieben werden. Dazu soll mit € 710 Mio. das Angebot an Kursen und Qualifikationen für die berufliche Aus- und Weiterbildung und für Programme des lebenslangen Lernens aktualisiert werden. Auch ist die Modernisierung der Berufsbildungseinrichtungen geplant. Im Bereich Digital Health werden € 300 Mio. investiert, um die Computersysteme des Nationalen Gesundheitsdienstes zu aktualisieren und die Digitalisierung von Krankenakten voranzutreiben. Der Unternehmenssektor soll von Investitionen zur Unterstützung von – in Portugal stark vertretenen – kleinen und mittleren Unternehmen und ihren Arbeitnehmern profitieren; z. B. durch digitale Kompetenztrainings sowie Coachings und Unterstützung bei der Einführung digitaler Technologien, um die Zahl der digital qualifizierten Arbeitskräfte zu erhöhen. - d. Ökologische und soziale Resilienz
Als Herausforderungen für die portugiesische Wirtschaft im makroökonomischen Bereich zählen die hohe öffentliche und private Verschuldung und das schleppende Produktivitätswachstum. Portugals Plan sieht auch Investitionen im sozialen Bereich vor, u.a. für den nationalen Gesundheitsdienst, die Ausweitung sozialer Wohnprojekte sowie die sozialer Dienste, einschließlich der Langzeitpflege und Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen. Darüber hinaus sieht der Plan z. B. € 250 Mio. für die Unterstützung sozialer Interventionen in benachteiligten Ballungsgebieten vor. Auch sollen Berufsbildungseinrichtungen gestärkt, die öffentliche Finanzverwaltung optimiert sowie das Justizsystem reformiert werden.
2. Erste Auszahlung
Am 3.8.2021 hat die Kommission € 2,2 Mrd. als Vorfinanzierung an Portugal ausgeschüttet. Dies umfasst 13 % der Mittel, die das Land insgesamt (€ 16,6 Mrd., davon € 13,9 Mrd. an Zuschüssen und € 2,7 Mrd. an Darlehen) erhalten soll.
Einen guten Überblick über die einzelnen Maßnahmen sowie die dafür vorgesehenen Gelder gibt es auf https://recuperarportugal.gov.pt/ (teilweise auch in englischer Sprache).