Prozesskostenhilfe in Portugal: Keine effektive Hilfe!

Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in Portugal mit einer anderen Person in einer Rechtsstreitigkeit, die Sache droht vor Gericht zu gehen, aber Sie können sich die Prozesskosten nicht leisten…

Die Kosten eines Gerichtsverfahrens in Portugal setzen sich aus den Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und den Anwaltskosten zusammen. Die Gerichtsgebühren bemessen sich grundsätzlich nach dem Streitwert. Sie werden anhand einer gesetzlichen Gebührentabelle bestimmt. Anders als in Deutschland gibt es in Portugal hingegen keine vorgeschriebenen Gebühren für die rechtsanwaltliche Tätigkeit. Vielmehr legen die Rechtsanwälte ihre Honorare selbst fest. Dabei haben sie sich allerdings nach bestimmten Kriterien zu richten, wie zum Beispiel dem Schwierigkeitsgrad der Sache und dem benötigten Zeitaufwand. Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars ist in eingeschränkter Form möglich.

1. Grundsätzliches zur Kostenerstattung
Für die „Kalkulation“ des Kostenrisikos eines bevorstehenden Rechtsstreits ist von Bedeutung, dass in Portugal und in Deutschland grundsätzlich die unterliegende Partei die Gerichtskosten zu zahlen hat. Im Gegensatz zur deutschen Rechtslage trägt in Portugal allerdings jede Partei – unabhängig vom Obsiegen oder Unterliegen – ihre Anwaltskosten selbst. Seit Inkrafttreten der neuen Kostenverordnung 2009 können zwar bei Obsiegen von der unterlegenden Partei die Anwaltskosten bis zu einer Summe von maximal 50 % der von beiden Parteien gezahlten Gerichtskosten beansprucht werden. Da die Anwaltskosten jedoch in aller Regel weitaus höher als 50 % der gesamten Gerichtskosten sind, führt dies in der Praxis zu keiner effektiven Kostenerstattung. Dies kann den Betroffenen davon abhalten, sein Recht geltend zu machen. Beispiel: A hat B 100.000,00 € geliehen. B weigert sich, den Betrag zu erstatten. Die 50 % der gesamten Gerichtsgebühren betragen hier 918,00 €, d.h. die Summe der von beiden Parteien gezahlten Gerichtskosten beträgt 1.836,00 € (2 X 918,00 €). Die Anwaltskosten dürften mindestens 2.500,00 € + 23 % MWSt. (3.075,00 €) betragen. Obsiegt A vor Gericht, hat er einen Anspruch gegen B auf Erstattung von 1.836,00 € (2 X 918,00 €, d.h. 918,00 €, die er an das Gericht gezahlt hat und anteilig von ihm bezahlte Anwaltskosten in Höhe von 918,00 €). Obwohl er stets im Recht war und nur klagen musste, weil B sich weigerte, das Darlehen freiwillig zu erstatten, bleibt A auf 1.239,00 € sitzen. Einer der Gründe warum es in Portugal keinen effektiven Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten bei Obsiegen gibt, mag der Umstand sein, dass es keine genauen Regelungen über die Höhe der Anwaltsgebühren gibt. In Deutschland gelten hingegen klare Vorschriften, die im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ver-ankert sind. Die gezahlten Anwaltsgebühren können auch nicht als Verzugsschaden o.Ä. ge-gen die unterliegende Partei geltend gemacht werden, da die portugiesische Kostenverord-nung ein geschlossenes System darstellt.

2. Prozesskostenhilfe als verfassungsmäßig verankertes Verfassungsrecht
Der Umstand, dass man auf seinen Anwaltskosten auch bei Obsiegen sitzen bleibt, beißt sich mit Art. 20 Abs. 1 der portugiesischen Verfassung. Danach hat jeder Bürger Portugals unab-hängig von seinen finanziellen Mitteln den gleichen Anspruch auf Zugang zu den Gerichten. Wer mangels ausreichendem Einkommen keine Gerichts- und Anwaltskosten zahlen kann, hat in Portugal – wie in Deutschland – einen Anspruch auf sog. Prozesskostenhilfe (apoio judi-ciário). Als Deutsche sind Sie gleichermaßen in Portugal anspruchsberechtigt. Die Prozess-kostenhilfe ist ein verfassungsmäßig verankertes und gesetzlich geregeltes System, das dafür sorgen soll, dass niemand aufgrund unzureichender finanzieller Mittel daran gehindert wird, seine Rechte zu kennen, geltend zu machen bzw. zu schützen. Diese Hilfe umfasst sowohl die Rechtsberatung als auch die Übernahme der Prozesskosten.

3. Beantragung von Prozesskostenhilfe
Formulare zum Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind in folgender Form erhältlich: In Papierform in jeder Bürgerberatungsstelle der Sozialdienste oder in elektronischer Form unter der Adresse www.seg-social.pt. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist in einer Bürgerberatungsstelle der Sozialdienste auf einem der folgenden Wege einzureichen: persönlich, per Fax, per Post oder auf elektronischem Weg, wobei der persönliche Weg zu empfehlen ist, da hier die Bearbeitungszeit in der Regel am kürzesten ist. Über den Antrag auf Gewährung der Prozesskosten hat das örtliche Sozialversicherungsamt innerhalb einer Frist von 30 Tagen zu entscheiden. Im Falle der Bewilligung werden in der Regel die Gerichtskosten sowie die Anwaltsgebühren durch die Staatskasse finanziert.

4. Welche Belege sind dem Antrag auf Beratungs-/ Prozesskostenhilfe beizulegen?
Es muss nachgewiesen werden, dass der Antragssteller nicht über ausreichende wirtschaftliche Mittel verfügt, um die Anwaltsvergütung und die üblichen Kosten eines Gerichtsverfahrens vollständig oder teilweise aufzubringen. Der Nachweis über die wirtschaftliche Bedürftigkeit kann durch jedes sachdienliche Mittel erbracht werden. Dem Antrag können demnach alle Unterlagen beigefügt werden, die als Nachweis dafür dienen, dass der Antragsteller nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt.

5. Wird Beratungs-/ Prozesskostenhilfe für alle Verfahrensarten gewährt?
Der von der Beratungs- und Prozesskostenhilfe umfasste Rechtsschutz wird für jede Art von Rechtsfragen oder Streitfällen gewährt. Dies geschieht ohne die vorherige Bewertung der beabsichtigten oder bereits erhobenen Klage. Dies ist ein großer Unterschied zur Rechtslage in Deutschland, wonach Voraussetzung für die Hilfegewährung ist, dass die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

6. Kritik an den portugiesischen Regelungen über die Prozesskostenhilfe
Im Ergebnis ist dem Bürger durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe in Portugal aber oft nicht geholfen! Nach portugiesischem Recht kann der prozesskostenbedürftige Bürger nämlich nicht selbst den Rechtsanwalt seiner Wahl beauftragen. Stattdessen wird der Rechtsan-walt von der Rechtsanwaltskammer aus der Liste der Rechtsanwälte gestellt, die sich freiwillig bereit erklärt haben, Prozesskostenhilfe-Mandate zu bearbeiten. Der rechtsuchende Bürger kann somit nicht den Rechtsanwalt seines Vertrauens, den Rechtsanwalt, der seine Sprache spricht oder der sich auf das in Rede stehende Rechtsgebiet spezialisiert hat, wählen. Auch wenn der Rechtsanwalt seiner Wahl zu der Gruppe von Rechtsanwälten gehört, die sich für Prozesskostenhilfe-Mandate beworben und auch in der Liste aufgenommen wurden, hat er keinen Anspruch auf Beiordnung dieses Rechtsanwalts. Erschwerend hinzu kommt, dass aus der ohnehin überschaubaren Anzahl von Rechtsanwälten, die Prozesskostenhilfe-Mandate bearbeiten, auch jeder berechtigt ist, die Mandatsübernahme abzulehnen. Dies kommt in der Praxis regelmäßig vor und führt dazu, dass die Rechtsanwaltskammer eine neue Bestellung vornehmen muss. Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zu Deutschland dar. Dort erfolgt eine Beiordnung durch den vorsitzenden Richter nur auf Antrag, wenn die Partei des Rechtsstreits keinen zu Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden hat. Ansonsten wird der Partei der Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet.

Die portugiesische Regelung zur Prozesskostenhilfe ist somit sowohl rechtsstaatlich als auch verfassungsrechtlich bedenklich. Indem der bedürftige rechtsuchende Bürger sich nicht den Rechtsanwalt seines Vertrauens aussuchen kann, wird dem in der anwaltlichen Berufsordnung beschriebenen unentbehrlichen Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant nicht Rechnung getragen. Spricht der bestellte Rechtsanwalt nicht die Sprache des rechtsuchenden Mandanten, kann dies zur Verletzung des Anspruchs des Bürgers auf rechtliches Gehör führen. Die Beiordnung eines „fremden“ Rechtsanwalts führt in der Praxis oft dazu, dass der Gang vor Gericht nicht gewagt wird.

Höchst kritikwürdig ist außerdem die beschriebene Rechtslage, wonach auch derjenige, der vor Gericht obsiegt hat, keinen Anspruch auf vollständige Erstattung der Gebühren hat, die er seinem Rechtsanwalt gezahlt hat. Diese Rechtslage trägt naturgemäß dazu bei, dass Bürger ihre Rechte nicht einklagen.

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